Mach Schluss mit der Trotzphase!
VON DORIS GANTENBEIN AM 01.02.2019
Trotzphase – das hat doch jedes Kind, oder?
Dies ist zumindest die landläufige Meinung. Aber stimmt das auch wirklich?
Zwar ist es in unserer Gesellschaft weit verbreitet, dass Kinder ab einem bestimmten Alter trotzig und bockig werden. Und nur allzu gerne wird die Schuld von Generation zu Generation der Trotzphase zugeschoben.
Aus der Entwicklungspsychologie ist jedoch schon seit Langem bekannt, dass jedes Kind ab einem bestimmten Alter selbständig wird und seine Autonomie entfalten möchte. Dies ist ein ganz natürlicher Entwicklungsschritt und findet überall auf der ganzen Welt statt.
In diesem Blog-Artikel erzähle ich Dir, in welchem Zusammenhang die Trotzphase und die Autonomie stehen.
Dein Kind will frei und unabhängig sein
Autonomie stammt ursprünglich aus dem Altgriechischen und bedeutet Selbständigkeit, Selbstbestimmung, Entscheidungsfreiheit, Unabhängigkeit.
Autonom sein bedeutet demzufolge, Entscheidungen von innen her zu fällen, völlig frei und unabhängig von der Meinung anderer.
Damit dies bei Deinem Kind geschehen kann, müssen ein paar Voraussetzungen erfüllt sein. Denn Autonomie ist komplex und entsteht nicht einfach mit zunehmendem Alter Deines Kindes.
Du kannst sie auch nicht etwa ‚machen‘.
Stattdessen ist Autonomie in grossem Masse abhängig von der Qualität der Bindung Deines Kindes zu seiner nächsten Bezugsperson – welche vermutlich Du bist – und zwar von Lebensbeginn an.
Dies scheint auf den ersten Blick ein Widerspruch in sich zu sein – ist es aber nicht.
Einfach ausgedrückt passiert folgendes: Je stärker die Bindung, desto emotional sicherer fühlt sich Dein Kind und ist infolge dessen fähig, sich autonom auszudrücken. Damit diese für die Autonomie erforderliche Bindung stattfinden kann, ist eine Begleitung in Gewahrsein, Liebe und Respekt die beste Grundlage.
Das Urvertrauen Deines Kindes wird somit gewahrt und löst bei ihm die beruhigenden Gefühle von Geborgenheit und emotionaler Sicherheit aus. Nur aus dieser emotionalen Sicherheit heraus kann sich seine Autonomie entfalten.
Respektierst Du die inneren Lebensprozesse Deines Kindes nicht und wird es ständig in seiner Entfaltung behindert, so führt dies zu einem Mangel an emotionaler Sicherheit.
Dein Kind ist dadurch innerlich gestresst, verunsichert und blockiert. Diese Unsicherheit hindert es daran, autonom zu wirken.
Es kompensiert dies häufig durch verstärkte Selbstbezogenheit, Machtspiele, Wutanfälle und sogenanntem Trotz. Daran ist allerdings nicht die ‚Trotzphase‘ schuld.
Üblicherweise orientieren sich die meisten Eltern am Fehlverhalten des Kindes.
Und genau hier ist der wunde Punkt.
Die Kunst ist nun, das Ganze umzukehren.
Statt den Fokus auf das Fehlverhalten Deines Kindes zu richten, ist es wichtig, Dich zu fragen: Könnte das unerwünschte Verhalten meines Kindes ein Hinweis auf ein nicht ausreichend erfülltes authentisches Bedürfnis sein?
Jedes Kind kommt früher oder später in eine Phase, in welcher es sich immer mehr seinem eigenen Ich bewusst wird und dies unmissverständlich zu verstehen gibt. Bei einigen Kindern beginnt dies bereits mit anderthalb Jahren, bei anderen erst mit fünf, und wieder bei anderen irgendwo dazwischen.
Es gibt keine genaue Zeit dafür.
Tatsache ist, Dein Kind möchte in dieser Phase selber entscheiden, mitbestimmen, tun, und forschen.
Statt Dein Kind dabei zu bekämpfen ist eine einfühlsame Begleitung angebracht. Gerade in dieser Phase ist es wichtig, den Drang zur Autonomie zu wahren und auf keinen Fall zu unterbinden.
Wer ist trotzig?
Nehmen wir an, eine Familie macht sich bereit, um Freunde zu besuchen.
Das dreijährige Mädchen hat sich soeben mit viel Freude zwei unterschiedliche Socken und sein Lieblingskleid angezogen, was in den Augen der Mutter ganz schrecklich aussieht. Auf keinen Fall will sie ihre Tochter mit diesen Kleidern mitnehmen.
Daraufhin wird die Tochter gezwungen, die von der Mutter ausgewählten Kleider anzuziehen.
Der darauffolgende Wutanfall der Tochter hält die Mutter nicht davon ab, sich durchzusetzen und für das daraus resultierende Zuspätkommen bei den Freunden entschuldigt man sich mit der Trotzphase des Kindes.
Aber wer genau ist in diesem Beispiel trotzig? Ist es wirklich das Kind?
Vielleicht ist an dieser Phase das Schwierigste und Schmerzlichste für die Eltern zu merken, dass sie nicht über ihr Kind bestimmen dürfen.
Und das macht Angst.
Angst, das Kind könnte plötzlich die Macht übernehmen und es würde sich zum Tyrannen und Egoisten entwickeln. Und dies soll auf jeden Fall verhindert werden.
Das Paradox dabei ist: Je mehr Autonomie Du Deinem Kind gewährst, desto mehr ist es bereit, zu kooperieren und den Bedürfnissen anderer nachzukommen.
Und umgekehrt.
Ein ehrliches NEIN ist ein JA zu sich selber
Obwohl ein Kind in der Regel während eines einzigen Tages ziemlich viele Neins von den Eltern zu hören bekommt, so scheuen Eltern jedes Nein, welches vom Kind kommt.
Es wird alles Mögliche unternommen, um das Kind schliesslich doch noch zu einem Ja zu bewegen und es wird ihm somit die klare Botschaft vermittelt, das Erfüllen von Erwartungen gegenüber anderen sei wichtiger als das Wahrnehmen der eigenen Gefühle und Bedürfnisse.
Doch wenn Dein Kind eigentlich Nein sagen möchte und trotzdem Ja sagt, verleugnet es sich selber.
Ein unehrliches Ja ist ein Nein zu sich.
Lehrst Du Dein Kind, zugunsten der anderen dauernd Ja zu sagen, läufst Du Gefahr, dass Dein Kind auch im Erwachsenenalter zu den falschen Leuten und Dingen Ja sagt.
Gerade im Hinblick auf Mobbing, Belästigungen und Übergriffe darf und soll Dein Kind unbedingt Nein sagen, wenn ihm nicht wohl ist oder es sich schützen möchte.
Doch dazu ist das Vertrauen in die eigenen Empfindungen nötig, und dieses wird leider zu oft schon in der frühen Kindheit kaputt gemacht.
Sind die authentischen Bedürfnisse Deines Kindes erfüllt, so hat es keinen Grund, aus egoistischen Gründen Nein zu sagen. Vielmehr sagt es Ja zu sich und seinem Kontext, in welchem es gerade steckt.
Ein Nein zu jemand anderem ist ein Ja zu sich selber, welches es zu respektieren gilt.
Wenn Du die inneren Lebensprozesse Deines Kindes respektierst, darfst Du immer mehr erfahren, dass die Phase der Ich-Entwicklung überhaupt nicht trotzig verlaufen muss.
Der erste Schritt von der Trotzphase wegzukommen und stattdessen immer mehr hin zu einer erfüllten Beziehung mit Deinem Kind ist die Bereitschaft, Dein eigenes Verhalten zu reflektieren und offen für Neues zu sein.
Bist Du bereit?
«Lass die Beziehung zu Deinem Kind in voller Pracht erblühen – für Dich und Dein Kind!»
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